Gesund bei der Arbeit – auch psychisch
Auf sich und seine Mitarbeiter achten
Laut einer Statistik der Deutschen Rentenversicherung sind psychische Erkrankungen mit 42% der häufigste Grund für Frühverrentungen. Wenn man bedenkt, dass etwa ein Drittel aller Beschäftigten im Bauhauptgewerbe über 50 Jahre alt ist (Verteilung der Beschäftigten in Handwerksbetrieben in Deutschland im Jahr 2017 nach Alter und Gewerbegruppen, Statista), sind diese Zahlen ein Grund mehr, in die psychische Gesundheit seiner Mitarbeiter zu investieren.
Wenn Betriebe sowieso schon notorisch unterbesetzt sind, fallen Ausfälle wegen Krankheit um einiges dramatischer aus. 2021 kamen laut einem Bericht der IKK classic auf jeden handwerklich Beschäftigten 20,1 Krankheitstage. Im Baugewerbe ist, mit durchschnittlich fast 24 Krankheitstagen, die Zahl sogar noch allarmierender. Die körperlich schweren und anstrengenden Tätigkeiten spielen hier eine große Rolle, aber auch die psychische Belastung darf nicht ausgeblendet werden. Denn mit dem Fachkräftemangel geht auch ein erhöhter Druck einher: Zeit-, Arbeits- und auch Verantwortungsdruck gehören dazu.
Knapp 9 % aller AU-Tage im Baugewerbe sind laut IKK classic auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Ein kleiner Anteil, könnte man meinen. Aber anders als physische Krankheiten, bei denen ein Krankheitsfall durchschnittlich 17,3 Tage dauert, fallen Betroffene bei psychischer Erkrankung im Schnitt 43 Tagen aus. Darum liegt es im Interesse der Betriebe, sich auch um das psychische Wohl seiner Mitarbeiter zu kümmern.
Unsichtbare Krankheiten mit sichtbaren Anzeichen
Man kann nicht in die Köpfe seiner Mitarbeiter gucken, um zu erfahren, ob sie Gefahr laufen, psychisch krank zu werden. Doch man braucht auch keine Glaskugel, um die Anzeichen zu deuten. „Die Psyche sendet Warnsignale. Stress bei Ihren Mitarbeitenden könnte sich beispielsweise in deutlichen Leistungseinbußen, in Vergesslichkeit, Unpünktlichkeit oder sich Verzetteln in Kleinigkeiten äußern. Wenn jemand weint, nur noch sarkastisch spricht oder wenn die Mimik eingefroren wirkt, sollten Sie auch dies als mögliche Warnsignale deuten “, erklärt Tiana-Christin Schuck, Psychologin bei Meditüv TÜV Nord Group. Aber Achtung: Entscheidend ist die Veränderung. „Menschen unterscheiden sich. Ein Alarmsignal wird zum Hinweis, wenn das Verhalten früher anders war. Wenn jemand etwa früher die Mittagspause immer im Team verbracht hat und sich nun absondert. Je mehr Veränderungen bestehen und je intensiver diese sind, desto klarer das Warnsignal“, erläutert die Psychologin.
Fürsorgepflicht gegenüber den Angestellten
Wer das Sagen hat, hat auch die Pflicht, ein Auge auf die Gesundheit der eigenen Mitarbeiter zu haben. Deswegen der Appell der Psychologin: „Nehmen Sie Stress bei Ihren Mitarbeitenden wahr, werden Sie bitte aktiv. Ich empfehle, möglichst schnell ein vertrauliches Gespräch zu suchen.“ Dabei ist es wichtig, so konkret und objektiv wie möglich zu bleiben. Ein Beispiel: „Lieber Herr XY. Sie sind in den letzten zwei Wochen viermal fünfzehn Minuten zu spät zur Arbeit gekommen. Das passt gar nicht zu Ihnen. Sie wirken auf mich aktuell auch müde und erschöpft. Ich mache mir Sorgen.“
Zuhören und aktiv nachfragen, was der Betroffene vorschlägt und gemeinsam Ziele ausarbeiten, empfiehlt die Expertin. Was tunlichst vermieden werden sollte, sind „Hobby-Diagnosen“. „Es ist niemals Ihre Aufgabe als Chef oder Chefin, zu diagnostizieren oder zu therapieren. Bitte geben Sie im Bedarfsfall an Fachleute ab“, so Schuck.
Keine schnellen Lösungen, sondern aktive Entwicklung
„Sprechen Sie die konkreten Verhaltensänderungen und Ihre Eindrücke in einem vertraulichen Gespräch an. Vermeiden Sie bitte Vorwürfe und vorschnelle Lösungen. Suchen Sie gemeinsam Lösungen und haben Sie im weiteren Verlauf ein Auge auf die Entwicklung“, ist die Empfehlung der Psychologin. Eventuell brauche es ein oder mehrere weitere Gespräche, bei denen immer gefördert und gefordert werden sollte. Ein Stufenplan ist hilfreich, um stetige Erfolge zu verbuchen – natürlich nur, falls die vereinbarte Verhaltensänderung ausbleibt.
Die Gefährdungsbeurteilung hilft präventiv
Ein Schritt, vorsorglich aktiv zu werden, ist die Gefährdungsbeurteilung. Sie zielt darauf ab, potentielle Gesundheitsgefahren zu ermitteln und zu bewerten, denen Beschäftigte im Arbeitsalltag ausgesetzt sind und aktiv diesen entgegenzuwirken. Gefährdungen können sowohl physischer (z.B. Lärm oder Stäube) als auch psychischer Natur (Zeitdruck oder aggressive Kommunikation) sein. Aber während eine Gefährdungsbeurteilung bei Fragen der technischen Sicherheit als selbstverständlich gilt, werden Fragen nach der psychischen Belastung noch immer als netten Zusatz gesehen, der aber nicht zwingend notwendig ist. Das stimmt so nicht: Laut § 5 des Arbeitsschutzgesetzes gelten auch psychische Belastungen bei der Arbeit als Gefährdung. „Es gibt Faktoren bei der Arbeit, welche typischerweise dazu führen, dass Menschen gestresst sind und krank werden können“, so Schuck. „Unter Zeitdruck arbeiten zu müssen oder ständig unterbrochen zu werden, gehört dazu. Falls unklar ist, wer welche Entscheidungen trifft oder wer notwendige Informationen hat, ist das stressend. Nicht zu vernachlässigen sind auch Aggressionen, sei es von Kollegen oder Kunden“, spezifiziert die Psychologin und erläutert, was zu tun ist: „Sie sollten ermitteln, welche potenziellen Schadensquellen für die Gesundheit bei der Arbeit vorherrschen. Beispielsweise mit Fragebögen oder in Diskussion mit Ihren Mitarbeitenden. Falls eine Gefährdung erkannt wird, braucht es passgenaue Veränderungen. Diese müssen nicht unbedingt Geld kosten – können dafür aber gut Geld bringen. Denn dabei lassen sich auch Potentiale heben. Zum Beispiel kann sich herausstellen, dass es in den Tätigkeiten an Abwechslung mangelt. Das kann zu Langeweile und Fehlern oder Lustlosigkeit führen. Eine Idee könnte sein, die Aufgaben zu rotieren und die Mitarbeitenden voneinander lernen zu lassen. Im perfekten Fall haben Sie dadurch die Arbeit abwechslungsreicher gestaltet, wichtiges Wissen auf mehrere Köpfe verteilt und das Gemeinschaftsgefühl und die gegenseitige Anerkennung gestärkt. Achten Sie darauf, die Veränderungen im Team zu besprechen und, falls sinnvoll, weiter anzupassen. Dokumentieren Sie Ihr Vorgehen und die Maßnahmen. Das schreibt das Arbeitsschutzgesetz vor.“
Wichtig: Die eigene Gesundheit nicht aus den Augen verlieren
Aber nicht nur auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter sollte Wert gelegt werden. Führungskräfte müssen dabei auch an sich selbst denken. „Wenn Sie als Chef oder Chefin im Stress sind, fällt es Ihnen typischerweise schwerer, eine Überlastung bei Ihnen Mitarbeitenden wahrzunehmen“, so die Psychologin. Außerdem bestehe das Risiko, dass Stress auf die Mitarbeitenden ansteckend wirke. Der eigene Einfluss sollte nie unterschätzt werden.
Apropos Aggressionen: Dabei handelt es sich um traumatische Ereignisse und damit Arbeitsunfälle. Bitte denken Sie an die Unfallanzeige bei Ihrer Berufsgenossenschaft. Weitere Beispiele für traumatische Ereignisse sind: Drohungen; sexualisierte Gewalt oder Unfälle mit starken körperlichen Verletzungen, wie etwa Brandwunden oder Amputationen.
Tiana-Christin Schuck ist Psychologin bei Meditüv und bietet neben psychologischer Beratung, Trainings und Sprechstunden auch Coachings zum Schutz und zur Stärkung der psychischen Gesundheit an.
SHK Profi: Woran merke ich, dass es mir nicht gut geht, ich vielleicht sogar auf eine psychische Erkrankung hinsteuere?
Tiana-Christin Schuck: Allerspätestens sollten Sie hellhörig werden, wenn Sie Dinge, an denen Sie früher Spaß hatten, nun nur noch anstrengend finden. Wenn Sie schneller ermüden als normalerweise oder ständig erschöpft sind, aggressiv werden oder wenn Suchtverhalten zunimmt, sollten Sie auch dies als Hinweise auf Stress verstehen. Häufig wird psychische Überlastung auch körperlich spürbar, etwa in Muskelverspannungen, übermäßigem Schwitzen oder in Schlafstörungen. Genau wie bei Ihren Mitarbeitenden gilt: Entscheidend ist die Veränderung – und je mehr und intensiver diese ist, desto lauter sollten Ihre Alarmglocken schrillen.
SHK Profi: Nehmen wir an, meine Alarmglocken schrillen. Was mache ich dann?
Tiana-Christin Schuck: Der allererste Schritt ist, die Sache ernst zu nehmen. Werden Sie aktiv. Sie könnten beispielsweise eine Aufstellung machen, was Sie aktuell umtreibt und knallhart priorisieren: Was muss nicht jetzt, heute oder diese Woche erledigt sein? Legen Sie sich das auf Wiedervorlage. Dann wissen Sie, die Aufgabe geht Ihnen nicht durch die Lappen, jedoch ist sie „jetzt nicht“ relevant. Schieben Sie diese Themen aktiv im Kopf beiseite und lassen Sie sich davon nicht unterbrechen. Falls Ihnen das schwerfällt: Dieses Beiseiteschieben kann man lernen. Bleiben Sie dran! Um in stressigen Zeiten gelassener zu werden, ist körperliche Aktivität essenziell. Dabei ist moderate, regelmäßige Bewegung, wie etwa spazieren gehen oder Fahrrad fahren, besonders hilfreich. Achten Sie auch auf regelmäßige Entspannung. Setzen Sie sich dazu am besten feste Zeiten. Musik hören, saunieren, baden oder meditieren könnten Ideen sein. Um am Abend zur Ruhe zu kommen, empfehle ich, ein „Glückstagebuch“ zu schreiben. Darin notieren Sie drei Punkte, welche gut (oder zumindest nicht ganz schlecht) liefen oder für welche Sie dankbar sind: Blicken Sie aktiv aufs Gute! Diese Übung funktioniert auch gemeinsam mit Ihrem Lieblingsmenschen. Für den Fall, dass es Ihnen nach zwei Wochen nicht bessergehen sollte, suchen Sie bitte professionelle Hilfe auf. Eine Anlaufstelle kann die Betriebsmedizin, Ihre Hausärztin oder Ihr Hausarzt sein. Hilfreich ist womöglich auch eine psychologische Psychotherapie. Akute Unterstützung bietet www.telefonseelsorge.de.