Moderne Wohnwelten
Interview mit Designer Michael Lammel /
Untersuchung zu Raumfunktionen /
Herausbildung dreier Badezimmertypen
Michael Lammel, Chef der Aachener Designschmiede Noa, und sein Team haben die Auswirkungen globaler gesellschaftlicher Trends auf die Grundrisse moderner Wohnbauten untersucht. Ihr Fazit: Die traditionellen Raumfunktionen verschwinden, stattdessen entstehen zwei eigenständige Bereiche, die den neuen privaten und sozialen Lebensbedürfnissen Rechnung tragen. In diesen Bereichen bilden sich drei eigene Badezimmertypen heraus, die sich in Größe und Ausstattung unterscheiden.
Noa hat die Grundrisse von Appartements in internationalen Metropolen analysiert, unter anderem in Berlin, Hamburg, Köln und München, aber auch in Singapur, Barcelona, Toronto, Mailand sowie weiteren Städten. Welche Trends haben Sie beim Thema Architektur und Wohnen festgestellt?
M. Lammel: Urbanes Wohnen gewinnt an Bedeutung. Gründe hierfür sind das vielfältige Angebot an Kultur, Freizeit und Gastronomie, außerdem Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und nicht zuletzt die bessere Infrastruktur: Einkaufen, Arbeitsweg und medizinische Versorgung.
Das bedeutet, dass in den Ballungsräumen die Nachfrage nach Wohnraum sowie die Anzahl der Haushalte steigen. Wohnraum wird somit knapp und teuer.
Als Konsequenz schrumpft die Wohnungsgröße, die Ansprüche an das Wohnen jedoch steigen. Die Lösung des Problems ist,
den Wohnraum durch eine effiziente Struktur intelligent zu nutzen. Traditionelle Raumfunktionen lösen sich auf, Wohnbereiche wachsen zusammen: Wohnen, Essen und Küche werden zum Raum für soziale Aktivitäten, Schlafen und Bad werden zum privaten Rückzugs- und Erholungsbereich.
Welche Rolle nimmt das Badezimmer in der Wohnung ein? Was hat sich gegenüber früher verändert?
M. Lammel: Das Badezimmer ist Teil des „Private Space“, des persönlichen Rückzugsbereichs. Dementsprechend werden andere Anforderungen gestellt: Das Bad ist nicht mehr reine Nasszelle, die zur Körperhygiene dient. Es ist Teil des Wohnraumes, in dem man sich wohlfühlen möchte. Dies kann nur durch neue Funktionalität und erhöhten Komfort in den einzelnen Nutzungsbereichen (Waschtisch, Wanne, Dusche, WC) erfüllt werden. Und natürlich designtechnisch durch
neue Produktkonzepte, neue Formen und Materialien.
Können Sie die neue Funktionalität der einzelnen Badbereiche näher erläutern?
M. Lammel: Früher dienten die Funktionsbereiche lediglich
der Reinigung. Heute ist der Waschtisch zum Beauty-Place geworden, an dem man sich zurechtmacht, zum Beispiel für einen Konzertbesuch. Man verbringt dort mehr Zeit und benötigt nicht nur Wasser und Seife, sondern Ablagen und Stauraum für die immer mehr werdenden Pflegeprodukte.
Die Dusche übernimmt die Funktion, den Nutzer zu (re)vitalisieren, zum Beispiel durch verschiedene Strahlarten wie Regen, Schwall, Massage. Bei der Badewanne geht es um Muße. Sie ermöglicht Erholung und Entspannung, ist aber auch Ausdruck von Luxus (Whirl, Musik, Licht) und wird deswegen auch gerne wie ein Fernsehsessel repräsentativ in den Raum gestellt.
Welche Badezimmertypen gibt es? Wodurch unterscheiden sie sich?
M. Lammel: Wir unterteilen Badezimmer in drei Typen: Das Masterbad, das Gästebad und das Gäste-WC. Jedes Bad erfüllt unterschiedliche Anforderungen.
Das Masterbad ist das Hauptbad – das große Bad –, das sich durch ein Maximum an Komfort und Performance auszeichnet. Zwei Waschbecken, Wanne und Dusche, genügend Stauraum sowie eine hochwertige Ausstattung mit Unterputzarmaturen. Oft ist dieses Bad in der Nähe oder sogar Teil des Schlafzimmers.
Das Gästebad ist gleichzeitig auch das kleine Standardbad in vielen älteren Wohnungen. Darin befindet sich eine Dusche oder Wanne sowie ein Waschtisch und natürlich ein WC. Es besitzt eine Standardausstattung wie Aufputzarmaturen und nur eine Handbrause, keine Kopfbrause.
Das Gäste-WC ist die Visitenkarte des Hauses und besteht aus Waschtisch und WC. Es ist Teil des „Social Space“, den der Besuch zu sehen bekommt und benutzt. Daher wird es oft repräsentativ ausgestattet, mit einer großzügigen Waschtischkonsole, besonderen Armaturen (Elektronik) oder individuellen Accessoires und Materialien.
Sie sind für verschiedene Hersteller im Badbereich tätig, unter anderem für die Traditionsmarke Hansa. Was folgt aus den von Ihnen ausgemachten Trends für das Armaturendesign?
M. Lammel: Der Fortschritt darf das Ritual nicht stören. Das heißt, eine Armatur ist kein Smartphone. Es geht darum, zunächst die Grundbedürfnisse des Menschen im Bad zu erfüllen. Bei einer Armatur heißt das, dem Nutzer Wasser in einer spezifischen Form aufbereitet möglichst schnell und einfach zur Verfügung zu stellen. Dann erst geht es um die Art und Weise, wie man diese Grundfunktion umsetzt und – die Trends integrierend – neu definiert, funktional/technologisch wie auch ästhetisch.
Gibt es bei der Badgestaltung länderspezifische Unterschiede?
M. Lammel: Es gibt signifikante kulturelle Unterschiede! Menschen in asiatischen Ländern beispielsweise haben eine komplett andere Art sich zu pflegen: Zunächst duschen sie sich vor der Wanne ab und gehen dann gereinigt in das Bad. So ist es schon vorgekommen, dass Asiaten in europäischen Hotels Überschwemmungen verursacht haben, weil sie auf dem Fußboden (ohne Abfluss) duschten, bevor sie in die Wanne stiegen.
In Frankreich hingegen gibt es die „Sur Gorge“-Armatur, eine Art Waschtischmischer mit integriertem Handbrausenabgang, der auf den Wannenrand montiert wird. In England gibt es auch separierte Waschtischarmaturen für warmes und kaltes Wasser, man mischt das Wasser im Becken zur Wohlfühltemperatur! Oder denken Sie an die Pressure-Balance-Duschenarmatur in den USA, bei der man Menge und Temperatur nur gemeinsam steuern kann (je mehr Wasser, desto wärmer wird es).
Dennoch gibt es bei den meisten Grundfunktionen Übereinstimmungen, die durch sogenannte „Ländervarianten“ differenziert gelöst werden.