Vorsicht im Umgang mit Regenwasser
Gewerbegebiet mit hohen Auflagen
Wenn eine Kommune laut Satzung in einem Gewerbegebiet für die von den Dachflächen stammenden Niederschläge eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung fordert, sind tragfähige Lösungen gefragt. Wie das gehen kann, was vorgeschrieben war und was in Eigeninitiative entschieden wurde, zeigt das folgende Beispiel. Sicherheitsaspekte und technische Regeln der Regenwassernutzung stehen bei dieser Betrachtung im Vordergrund.
Im Gewerbegebiet Niederwiesen der Stadt Bräunlingen/Schwarzwald wird versucht, mit dem Niederschlagsabfluss der Dachflächen die Wasserhaushaltsgrößen Verdunstung, Grundwasserneubildung und Oberflächenabfluss so weit wie möglich zu erhalten, trotz Bebauung und Versiegelung (1). Im Folgenden wird die Regenwasserbewirtschaftung der Ing. G. Werr & S. Ludwig GmbH vorgestellt. Das Familienunternehmen entstand aus einem klassischen SHK-Betrieb, beschäftigt heute 80 Mitarbeiter und fertigt am neu gebauten Standort zusätzlich mobile Energiezentralen.
Blau-grün-graue Infrastruktur
Regenwasser von den 2.026 m² Dachflächen der drei Betriebsgebäude wird teilweise durch Dachbegrünung verdunstet, teilweise im unterirdischen Speicher zurückgehalten und dann genutzt oder versickert. Das entlastet die kommunale Entwässerung und hilft, die Gefahr von Überflutung im Stadtgebiet zu reduzieren. Wasserorientierte Stadtplaner sehen darin Teile der so genannten blau-grünen Infrastruktur. Bestehen deren wesentliche Bestandteile wie in diesem Beispiel aus Beton, wird sie blau-grün-graue Infrastruktur genannt.
Die Dachbegrünung auf mindestens 30 m² Dachfläche hatte die Kommune hier laut Bebauungsplan und Abwassersatzung gefordert – und, dass nicht genutztes Regenwasser von den Dächern auf dem Betriebsgelände versickert werden muss. Das Unternehmen hat sich dafür entschieden, eine komplette Dachfläche mit 216 m² zu begrünen, die WCs mit Regenwasser zu spülen und in der Produktion am Waschbecken manuell Bauteile mit dem weichen Niederschlagswasser zu reinigen. Um den Trinkwasserbedarf möglichst gering zu halten und zugleich den Speicher wirtschaftlich vernünftig zu dimensionieren, haben Bauherrschaft und Planer aus Wasserertrag und Wasserbedarf die richtige Größe ermittelt. Dafür genügt ein frei verfügbares Simulationsprogramm (2) oder zur überschlägigen Ermittlung das vereinfachte DIN-Rechenverfahren nach Anhang A (3). Das Ergebnis ist ein unterirdischer Speicher, bestehend aus zwei Betonbehältern mit zusammen 20,4 m³ Nutzvolumen.
Betriebssicherheit zahlt sich aus
Die Zuverlässigkeit der Regenwasser-Nutzungsanlage (RWNA), also der störungsfreie Betrieb, zahlt sich aus, wenn Regenwasser wie in diesem Fall in der Produktion verwendet wird. Denn nicht vorhergesehene Ausfälle der Versorgung führen zu kostenintensiven Verzögerungen im Betriebsablauf. Auch die WC-Spülung für 80 Mitarbeiter darf nicht für Stunden oder Tage ausfallen. Der Vorsorge, um Funktionsstörungen zu vermeiden, kommt in Gewerbe und Industrie und auch bei öffentlichen Gebäuden eine größere Bedeutung zu als im Privathaushalt oder bei der Gartenbewässerung. Wie alle technischen Systeme benötigt auch die RWNA eine regelmäßige Inspektion und Wartung durch sachkundiges Personal. Bei Werr & Ludwig mit eigener Sanitärabteilung ist das kein Problem. Der richtige Zeitpunkt für Inspektion und Wartung ist im Frühjahr und im Herbst. Vor der Frostperiode sollte die Anlage zur Regenwassernutzung winterfest gemacht werden, falls es Außenzapfstellen gibt. Es lohnt sich dann auch, den Filterschacht zu reinigen. Was sonst zu tun ist, steht in Kapitel 11 und auf einer zweiseitigen Liste im Anhang E der DIN EN 16941-1 (4).
Sicherheit für Boden und Grundwasser
Wohin mit dem Speicherüberlauf? Heutzutage müssen die vor Ort zuständigen Kommunen das Gefährdungspotential in Industriegebieten besonders abwägen. Die Stadt Bräunlingen hat für das Oberflächenwasser den Anschluss an die öffentliche Abwasserbeseitigung angeordnet. Im Gegensatz dazu muss sämtliches Dachwasser, soweit es nicht vom Gründach aus verdunstet oder aus dem Regenspeicher genutzt wird, auf dem Grundstück „schadlos beseitigt“ werden. Aus Sicht der Bauherrschaft geht das nur unterirdisch, denn die komplette Oberfläche des Betriebsgeländes wird als Lagerfläche sowie als Parkplatz für Kunden und Mitarbeiter benötigt. Und das Überlaufrohr des Speichers liegt bereits unter der Erde.
Wegen der in Baden-Württemberg kritischen Haltung der Wasserbehörden bei Versickerung ohne bewachsenen Oberboden kam zwischen Dachablauf und unterirdischer Sickerrigole bei Werr & Ludwig ein „Alleskönner“ zum Einsatz, der Mall-Substratfilter „ViaPlus Typ 3000“. An diese Regenwasser-Behandlungsanlage dürfen bis zu 3.000 m² abflusswirksame Fläche angeschlossen werden. Die Reinigung erfolgt in drei Stufen:
Rückhaltung absetzbarer Stoffe
Trennung abfiltrierbarer Stoffe
Entfernung gelöster/emulgierter Stoffe
Diese Behandlungsstufen sind im Substratfilterschacht so angeordnet, dass die Durchströmung horizontal erfolgen kann. Dadurch ergibt sich ein geringer Fließwiderstand und ein optimierter Höhenversatz (5). „ViaPlus“ wurde speziell für die Entwässerung von Verkehrsflächen mit hohem Verkehrsaufkommen entwickelt, ist also deutlich „überqualifiziert“ für die Behandlung von Dachabläufen, die im Zulauf zum Speicher bereits gefiltert und sedimentiert wurden. Der Vorteil: Während eine Wartung bei Anschluss stark verschmutzter Flächen alle vier Jahre erforderlich wäre, sind die Intervalle hier um ein Vielfaches länger.
Sickertunnel: Standsicher, belastbar und wartungsfrei
Die Entwässerungssicherheit ist auch beim definierten Stark-
regen gegeben, wenn für die Versickerungsanlage das Rückhaltevolumen nach den Regeln der Technik bestimmt wird. Dafür muss gemäß DWA-A 138-1 (6) das Gründach als wassergesättigt, die gesamte Einzugsgebietsfläche von 2.026 m² mit Abflussbeiwert 1,0 und der Regenspeicher als voll angesetzt werden, ein Worst-Case-Szenario also. Die Simulation mit dem Durchlässigkeitsbeiwert des Bodens und mit einem 60 Minuten dauernden Starkregen, der an diesem Ort alle fünf Jahre zu erwarten ist, ergibt ein notwendiges Rückhaltevolumen von knapp 60 m³ (2). Mit der Baureihe „CaviLine“ entspricht das einer Rigolenlänge von mindestens 24 m. Erreicht wurden bei Verwenden einheitlich großer Tunnelelemente knapp 30 m. Durch die Bauart bedingt entstand so eine Reserve von 22 %.
Hohlkörperrigolen des Typs „CaviLine“ haben gegenüber den gebräuchlichen Füllkörperrigolen außerdem Vorteile durch den Werkstoff Stahlbeton. Sie sind statisch bestimmt, standsicher, bis SLW 60 belastbar und kommen auch bei großen Hohlräumen ohne innere Aussteifungen aus. Die Innenhöhe von 1,25 m gilt nach der Definition der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) als „begehbar“. Die Inspektion ist damit unkompliziert, man braucht keine spezielle technische Ausrüstung. Eine Kamerabefahrung ist nicht nötig. Der Einstieg erfolgt bei Bedarf durch den vorhandenen Domschacht. Nicht erforderlich ist eine regelmäßige Wartung der Sickertunnel, diese beschränkt sich auf den Substratfilter „ViaPlus“.
Kosten und Kalkül
Früher wäre sämtliches Regenwasser in die Kanalisation eingeleitet und ohne Niederschlagsgebühr von der Kommune entsorgt worden. Die Kosten für die Regenwasserbewirtschaftung plus Dachbegrünung gemäß den behördlichen Auflagen liegen für das Familienunternehmen Werr & Ludwig deutlich über 100.000 €. „Natürlich belastet das und wir waren bei der Kalkulation auch erschrocken. Doch mit kühlem Kopf betrachtet finde ich es richtig, dass wir die Umwelt und speziell den Wasserhaushalt schützen, verursachergerecht – nicht über die Allgemeinheit,“ meint Jörg Ludwig. Er ist in der zweiten Generation geschäftsführender Gesellschafter. „Wir machen aus der Not eine Tugend und zeigen die zukunftsfähige Haustechnik im eigenen Neubau in der bestmöglichen Ausführung. Das dient der Kundenberatung und hilft sogar bei der Suche nach qualifiziertem Personal.“ Auch seine drei Kinder sind schon dabei und können den gut aufgestellten Betrieb bald übernehmen.
Zusätzliche Informationen
Klemens, Stephan: Ausgeglichene Wasserhaushaltsbilanz
Regenwasser speichern statt ableiten. In: Ratgeber Regenwasser. Für Kommunen und Planungsbüros. Mall GmbH, Donaueschingen, 9. Auflage 2022
Mall-Bemessungs-Software „MBS-Online“. Kostenloser Download unter: www.mall.info/dienstleistungen
DIN 1989-100:2022-07. Regenwassernutzungsanlagen – Teil 100: Bestimmungen in Verbindung mit DIN EN 16941-1. Beuth Verlag, Berlin
DIN EN 16941-1:2024-05. Vor-Ort Anlagen für Nicht-Trinkwasser – Teil 1: Anlagen für die Verwendung von Regenwasser; Deutsche Fassung EN 16941-1:2024. Beuth Verlag, Berlin
Regenwasserbewirtschaftung und Niederschlagswasserbehandlung, Planerhandbuch. (Hrsg.:) Mall GmbH, Donaueschingen, 2024/2025
DWA (Hrsg.): DWA-A 138-1 – Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser – Teil 1: Planung, Bau, Betrieb. Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef; Oktober 2024
Projektdaten
Bauherrschaft: Simone Ludwig, 78199 Bräunlingen
Adresse: Beim Steinernen Kreuz 6, 78199 Bräunlingen
Fertigstellung: November 2023
Jahresniederschlag: 974 mm
Flachdach extensiv begrünt: 216 m²
Flachdächer unbegrünt: 1.810 m²
Filterschacht im Zulauf zum Regenspeicher, Typ:
„Mall FS 45“
Regenspeicher, Typ/Nutzvol.: „Mall 2B 20400“/20,4 m³
Substratfilterschacht vor Versickerung, Typ:
„Mall ViaPlus 3000“
Versickerungsrigole, Typ/Volumen: „Mall CaviLine 2500 25-2-6“/72,6 m³
Abdeckungen der Schächte, Speicher, Rigole:
befahrbar, Klasse D 400
CO2-Fußabdruck bei Regenspeichern
verschiedener Werkstoffe
Unabhängig vom jeweiligen Füllvolumen in m³ haben Regenwasserspeicher aus Beton und Stahlbeton einen günstigeren CO2-Fußabdruck als andere Werkstoffe. Zu diesem Ergebnis kommt der Bundesfachverband Betonkanalsysteme e. V. (FBS) mit seinem „Klima-Rad“ speziell für Regenwasserspeicher. Hierbei werden aktuelle Zahlen des Klima-Rechners der RPTU Kaiserslautern-Landau zugrunde gelegt, die die Werkstoffe Beton, Stahlbeton und Kunststoff (PE-HD und PP) miteinander vergleichen. Abrufbar unter www.klima-rechner.de.
Mit dem „Klima-Rad“ des FBS können Planer und Entscheider im Handumdrehen den durchschnittlichen CO2-Ausstoß verschiedener Werkstoffe und Speichervolumina ermitteln und ihre Werkstoffentscheidung – der Umwelt zuliebe – hinterfragen.
Beispiel: In der Füllvolumenkategorie 7,5 m³ weist der Klima- Rechner für einen Regenwasserspeicher aus Beton 580 kg CO2 aus, für einen Speicher aus Kunststoff (PE-HD) in derselben Kategorie 1.320 kg CO2, das entspricht einem gegenüber Beton um 127 % höheren CO2-Ausstoß.